Die Angst vor den anderen by Bauman Zygmunt

Die Angst vor den anderen by Bauman Zygmunt

Autor:Bauman, Zygmunt [Bauman, Zygmunt]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2016-08-18T22:00:00+00:00


Urbanisierung und Industrialisierung, die mit massenhaften und mannigfaltigen Bewegungen, Wanderungen und Umsiedlungen von Menschen einhergehen, untergraben die zweite nationalistische Grundannahme eines Territoriums, das überwiegend von einer ethnisch, kulturell und sprachlich homogenen Bevölkerung bewohnt wird. Die heftige fremdenfeindliche oder rassistische Reaktion der einheimischen Bevölkerung der Zielländer oder -regionen auf den massenhaften Zustrom von »Fremden« ist in den Vereinigten Staaten seit 1890 und in Westeuropa seit 1950 eine ebenso vertraute wie betrübliche Erscheinung. Aber Fremdenhaß und Rassismus sind Symptome, keine Heilmittel. Ethnische Gemeinschaften und Gruppen in modernen Gesellschaften sind vom Schicksal zur Koexistenz verurteilt, mögen viele auch immer noch von einer Rückkehr zu einer unvermischten Nation träumen. […] Nur besteht heute die typische »nationale Minderheit« aus einem Archipel kleiner Inseln statt aus einer zusammenhängenden Landmasse.

Die auf »ethnische Zugehörigkeit« pochenden Bewegungen, so fügt Hobsbawm hinzu, erweckten immer wieder »den Eindruck, sie seien Reaktionen aus Schwäche und Angst, Versuche, Barrikaden gegen die Kräfte der modernen Welt zu errichten […]. Was solchen Abwehrreaktionen gegen wirkliche oder vermeintliche Bedrohungen Nahrung gibt, ist ein Zusammenspiel von internationalen Bevölkerungsbewegungen und den ungeheuer raschen, tiefgreifenden und beispiellosen sozioökonomischen Veränderungen«, die immer noch so typisch sind für unsere Zeit. »Überall in urbanisierten Gesellschaften begegnen wir Fremden: entwurzelten Menschen, die uns an die Zerbrechlichkeit oder das Austrocknen unserer eigenen familiären Wurzeln erinnern.« Hobsbawm zitiert den tschechischen Historiker Miroslav Hroch, der die These aufstellte, Nationalismus und der Verweis auf die ethnische Zugehörigkeit seien ein »Ersatz für Integrationsfaktoren in einer desintegrierenden Gesellschaft. Wenn die Gesellschaft zerfällt, erscheint die Nation als letzte Garantie.« Die »Fremden«, so erinnert uns der inzwischen verschiedene Historiker Hobsbawm, »können und müssen verantwortlich gemacht werden für all die Beschwernis, Ungewißheit und Desorientierung, die viele von uns nach vierzig Jahren der schnellsten und tiefgreifendsten Umwälzungen des menschlichen Lebens in der gesamten bisherigen Geschichte empfinden«.47 Unsere antiken Vorfahren wussten, was wir zu unserem Schaden leichtsinnig vergessen haben: »Die Geschichte ist die Lehrerin des Lebens.« Um unseres Überlebens willen sollten wir auf diese Lehrerin hören und Eric Hobsbawms wegweisendes Buch Nation und Nationalismus lesen und wieder lesen. Die Lehre, die wir aus diesem großen Buch ziehen können, lautet, dass scheiternde Gesellschaften, die ihre Hoffnungen auf einen Retter und Erlöser, einen von der Vorsehung geschickten Mann (oder eine Frau) setzen, nach einer eisern, militant, kämpferisch nationalistischen Gestalt suchen – nach jemandem, der den globalisierten Planeten draußen zu halten und die Tore zu schließen verspricht, die doch schon längst aus ihren Angeln gehoben (oder vielmehr aufgebrochen) und daher nutzlos geworden sind.

Benjamin Barber bringt es in seiner so provokanten wie überzeugend klingenden Studie If Mayors Ruled the World: Dysfunctional Nations, Rising Cities (einem Buch, das eher einem Manifest gleicht) unverblümt auf den Punkt: »Heute, nach einer langen Geschichte regionaler Erfolge, scheitert der Nationalstaat auf globaler Ebene. Er war das perfekte politische Rezept für die Freiheit und Unabhängigkeit autonomer Völker und Nationen. Er ist äußerst ungeeignet für Interdependenz.« Seinem Wesen nach sei er, so Barber, »allzu sehr auf Rivalität und gegenseitigen Ausschluss ausgerichtet«. Er scheine jeder Form der Zusammenarbeit »zutiefst abgeneigt […] und unfähig zur Herstellung eines globalen Gemeinwohls« zu sein.



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